Im Durchschnitt 224 Minuten online – und das täglich. Immer häufiger konfrontiert mit gefährlichem Content.

Die sogenannte JIM-Studie (Jugend, Information, Medien) für 2023 belegt erneut eine hohe tägliche Online-Zeit bei Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren. Damit verzeichnen die Forschenden wiederholt einen Anstieg im Vergleich zu den letzten beiden Jahren. Das Problem: Während Jugendliche einerseits sozial netzwerken oder Online-Games spielen, werden sie auf Portalen wie Instagram oder Tiktok auch mit sexueller Belästigung, ungewollten pornografischen Inhalten, Hass und immer öfter mit rechtsextremer Propaganda konfrontiert, berichtet die JIM-Studie. (1)

„Die Stärkung der Medienkompetenz von Jugendlichen sowohl im Elternhaus als auch in der Schule wird immer wichtiger, um junge Menschen vor Gefahren im Netz zu schützen.“

Das sagt Linda Petsch, Projektleiterin beim Bildungsträger KUBI gGmbH. Als zertifizierte Präventionsmanagerin Extremismus und Radikalisierung leitet sie für die Tochtergesellschaft biku gGmbH das Projekt „Hand in Hand gegen religiös begründeten Extremismus“, das vom Land Hessen gefördert wird.

Sophie-Opel-Schule in Rüsselsheim, März 2024

Vor wenigen Tagen war sie als Referentin in der Rüsselsheimer Sophie-Opel-Schule im Einsatz. Dort fanden die „Tage der Toleranz“ statt, eine zweitägige Schulveranstaltung rund um die Themen Vielfalt, offene Gesellschaft und Demokratie. Die Fachreferentin arbeitete dort wie so häufig in den letzten Monaten mit Jugendlichen zum Thema Online-Radikalisierung und -propaganda, gemeinsam mit ihrer Kollegin Gelincik Tuzcu, dieses Mal mit einer 9. Hauptschulklasse.

Fachreferentin Linda Petsch, zertifizierte Präventionsmanagerin Extremismus und Radikalisierung

„Seit fünf Jahren beobachten wir einen stetigen Anstieg der Nachfrage im Bereich Medienbildung“, berichtet Linda Petsch. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel habe sich der Bedarf nochmals erhöht.

„Es war auch in dieser Klasse der Sophie-Opel-Schule wieder bemerkenswert, mit welch großem Interesse die 14- und 15-Jährigen auf das Thema eingestiegen sind.“ Die Teenager seien froh gewesen, ihre verschiedenen Erlebnissen in den Sozialen Medien im persönlichen Austausch teilen zu können und für ihre Sorge im Umgang mit problematischen Inhalten Ernst genommen zu werden.

Der vom gemeinnützigen Bildungsträger biku angebotene Workshop ist speziell auf die jeweilige Altersgruppe zugeschnitten. Anhand vieler Beispiele verdeutlicht Referentin Linda Petsch, welche Arten von Fake News es gibt, wie sie gemacht sind und vor allem wie sie eingesetzt werden. „Für viele der Jugendlichen war es eine neue Erfahrung zu erkennen, das manche Inhalte im Netz gezielt gestreut werden, um damit eine ganz bestimmte Wirkung zu erzielen. Hier sind wir dann schnell im Bereich der Manipulation und der Propaganda.“

Rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen nutzen bekanntermaßen strategische Online-Kommunikation zunehmend für Desinformationskampagnen. Ein neuer Trend dabei sei, so Linda Petsch, dass rechtsextreme Gruppierungen erstens verstärkt auf Gaming-Plattformen wie Discord oder Steam Propaganda und Fake News verbreiten und auch über Influenzerinnen versuchen, diskriminierende Botschaften zu platzieren, was die emotionale Wirkung verstärke und damit auch die Aufnahmebereitschaft der Jugendlichen.

Die Forderung nach mehr Medienbildung in den Schulen wird lauter je mehr bekannt wird, dass Soziale Medien von rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppen in viel höherem Maß genutzt werden im Vergleich zu demokratischen, liberalen Parteien. Gerade für TikTok hat Politikwissenschaftler Hillje im März 2024 erschreckende Analysen veröffentlicht, die eine massive Dominanz der AfD auf TikTok belegen (2).

„Es ist wichtig, dass wir mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen, dass sie nicht allein gelassen werden mit irritierendem und manipulativem Content, aber auch, dass sie kritikfähig werden im Sinne mündiger Bürger:innen gegenüber den vielen verschiedenen Inhalten, die im Netz unterwegs sind“, fordert Fachreferentin Linda Petsch. Immer mehr Fachleute im Bereich Pädagogik und Social Media halten es inzwischen für dringend notwendig, dass kritische Medienkompetenz standardmäßig in den Lehrplan aufgenommen wird, um Kinder und Jugendliche besser zu schützen.

JIM-Studie 2023 | Zusammenfassung (ins-netz-gehen.info)

AfD auf TikTok: So abgehängt sind die anderen Parteien – ZDFheute

Extremismusprävention | biku – Bildung und Kultur gGmbH